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Die Diözesankonferenz Behindertenpastoral hat sich im September 2020 mit den Auswirkungen der Pandemie und den Ein- und Beschränkungen, die sich daraus ergeben haben, auseinandergesetzt. Aus den Erfahrungen der Seelsorger*innen entstand dieser Artikel, der unter Zusammen füreinander Sorge tragen – Erfahrungen aus der Krise als Wegweiser für eine inklusive Pastoral“ - veröffentlicht wurde. Daran anknüpfend und weil die Pandemie und ihre Auswirkungen auch weiterhin bestimmend waren, setzten sich die Teilnehmer*innen der Konferenz im Frühjahr 2021 ein weiteres Mal mit den Auswirkungen der Pandemie für die Seelsorge, auf die Menschen und die Arbeit auseinander. Dabei wurde deutlich, dass digitale Möglichkeiten wichtige Aspekte für eine möglichst umfassende Teilhabe am Leben darstellen – in diesen Pandemiezeiten und auch darüber hinaus, und dass dies zukünftig immer stärker so sein wird.
In einer Studie der Aktion Mensch über digitale Teilhabe von Menschen mit Behinderungen wird die Bedeutung des Themas deutlich: „Unsere Studie zeigt, dass eine chancengerechte Teilhabe aller nur dann möglich ist, wenn digitale Barrierefreiheit konsequent durchgesetzt wird“, unterstreicht Christina Marx von Aktion Mensch.
Vor diesem Hintergrund haben wir exemplarisch mit Vertreter*innen einiger Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Psychiatrie unterschiedlicher Trägerschaften im Bistum Trier darüber gesprochen, wie die Themen „Digitalisierung und Teilhabe“ in ihrem Zusammenhang erlebt werden.
Ziel der Gespräche war es, unsere Erfahrungen miteinander zu teilen, um so unsere eigenen Erfahrungen besser einordnen zu können und ein genaueres Verständnis der Situation in den Einrichtungen zu erlangen.
Folgende Erfahrungen haben die Teilnehmer*innen unserer Konferenz in der Hochzeit der Pandemie zwischen September 2020 und März 2021 in ihrer seelsorglichen Arbeit gemacht:
In den Gesprächen mit den Mitarbeiter*innen oder Leitungen der Einrichtungen wurden zum Teil ähnliche Erfahrungen, aber auch andere Aspekte benannt.
Wir haben uns mit den Gesprächsteilnehmer*innen darauf verständigt, die einzelnen Einrichtungen nicht zu nennen, sondern die Erfahrungen zusammengefasst darzustellen.
Besonders wichtig ist der Kontakt zu den Familien. Sind jedoch die Angehörigen schon älter nutzen diese oft keine Online-Formate, sodass z. B. ein Tablet für die betreffenden Bewohner*innen in diesem Fall leider nichts nützt.
Zwischen den verschiedenen Wohnbereichen gibt es jedoch große Unterschiede bzgl. Bedarf und Nutzungsmöglichkeiten. Einerseits kann kaum ein/-e Bewohner*in die Technik ohne Begleitung nutzen. Aber Schülergruppen bräuchten durchaus ein angemessenes Equipment. Außenwohngruppen versorgen sich meistens selbst. Dort fragen Bewohner*innen, die zum Beispiel ein Handy oder Tablet benutzen, am häufigsten nach WLAN.
Am meisten fehlen aber einfach die echten Begegnungen. Einige Mitarbeiter*innen vermuten, dass Videoanrufe das Vermissen noch viel schlimmer machen könnten.
Mancherorts ist eine Internetversorgung im Ausbau. Da solche Ausbauarbeiten über den Träger koordiniert werden, ist oft nicht klar, ab wann es konkret nutzbar sein wird.
Aus Sicht vieler Einrichtungen wäre WLAN im Haus sehr gut, aber dazu bräuchte es auch eine pädagogische Begleitung für einen sinnvollen Einsatz, damit eine gefährdende Nutzung so weitgehend wie möglich ausgeschlossen werden kann. Eine Gefahr stellt zum Beispiel die Verschiebung im Suchtmittelmissbrauch dar. Darum ist auf jeden Fall ein Konzept nötig.
Im Moment erleben die meisten Einrichtungen jedoch einen so großen Mehraufwand aufgrund der Corona-Maßnahmen wie die Terminierung und Begleitung von Besuchen, das Einhalten aller Hygienevorschriften, regelmäßigen Tests und Impfungen, dass es kaum möglich ist, noch etwas Neues zu etablieren.
Bei einem solchen Vorhaben besteht zudem eine weitere Herausforderung darin, dass das Personal oft erst einmal das Bedürfnis für eine Nutzung solcher neuen Möglichkeiten wecken muss. Denn bei vielen Bewohner*innen ist es so, dass sie das, was sie noch nicht kennen auch nicht vermissen. Darum müsste das Wecken des Bedürfnisses bei vielen noch zusätzlich zu der Arbeit der Motivation zu alltäglichen Dingen wie Zähneputzen passieren.
Darum stellen einige im Moment noch bewusst die Frage: Was ist gerade für diese Gruppe wirklich der Nutzen und was das Ziel des Angebotes? Selbst bei einer vollumfänglich technischen Ausstattung bliebe der Umgang mit der aktuellen Situation eine große logistische Herausforderung.
Das Wichtigste ist im Moment, dass verschiedene Personen von außen den Kontakt zu den Einrichtungen halten, damit ein wenig Abwechslung in den Alltag kommt. Dazu gehören auch die kirchlichen Mitarbeiter*innen und deren Angebote. Die bekannten Wege wie Post und Telefon dazu zu nutzen, ist insofern hilfreich, als dies in all den Unsicherheiten der Lebensgestaltung für viele etwas Vertrautes ist, das nicht zusätzlich überfordert.
Eines der größten Hindernisse ist zudem, dass die finanziellen Mittel der meisten Bewohner*innen so begrenzt sind, dass die Teilhabe, z. B. an den sozialen Medien oder neuen Online-Kommunikationswegen nicht möglich ist. Manche Einrichtungen möchten darum in Zusammenarbeit mit ihrem Förderverein internetfähige Bewohner-Tablets einrichten. Allerdings scheitern solche an sich gute Projekte oft am dann doch fehlenden W-Lan oder zu schlechter Internetqualität.
In einigen Einrichtungen soll generell eine W-Lan Verbindung für die Bewohner*innen eingerichtet werden. Die Endgeräte müssen dabei jedoch weiter von den Bewohner*innen selbst vorgehalten werden.
Für einige Einrichtungen wäre neben flächendeckendem W-LAN für die Bewohner*innen, auch eine Art Internetcafé eine tolle Sache. Hier könnten neben eigeninitiativem Nutzen des Internets auch Schulungen für Bewohner im Umgang mit den für sie neuen digitalen Medien stattfinden.
In einem Haus wurde bereits ein Konzept zur virtuellen Bildung erstellt, das Möglichkeiten zur Nutzung von digitalen Bildungsmöglichkeiten einschließt. Allerdings kann auch diese Möglichkeit aufgrund mangelnder technische Voraussetzungen und Kompetenz bislang nur von einem kleinen Personenkreis genutzt werden.
Insgesamt ist festzustellen: Obwohl die Digitalisierung gesellschaftlich bereits weit fortgeschritten ist, übernimmt die Ausstattung mit der erforderlichen Hardware bislang kein Kostenträger. Dies wäre jedoch eine notwendige Voraussetzung für eine gleichberechtigte digitale Teilhabe. Daher wird auf jeden Fall eine Lösung für die Kosten der Webnutzung, für Schulungen und Begleitung gebraucht.
Dort, wo die Internetnutzung z. B. in Gruppenräumen möglich ist, ist dies meist das Ergebnis eines jahrelangen Prozesses und wurde nicht erst durch die Pandemie ermöglicht. Wenn Bewohner*innen den Bedarf einer verstärkten Internetnutzung äußern, spielt oft der Wunsch online einzukaufen eine große Rolle, gerade in diesem Jahr, in dem aufgrund der Ausgangsbeschränkungen kaum noch der Besuch von Geschäften möglich war. Aber auch dazu fehlen meist die technischen Voraussetzungen und die entsprechenden Kenntnisse, sodass die Unterstützung von Mitarbeiter*innen unabdingbar ist. Auch um sich umfassender informieren zu können, ist der Ausbau der digitalen Teilhabe von Nöten, da z.B. Zeitschriften oft nur auf den Stationen, nicht aber in den Wohnbereichen ankommen.
Dennoch wurde in der Zeit der Pandemie bisher öfter gefragt, wann wieder Feste und Ausflüge stattfinden, als danach, ob die Möglichkeit besteht das Internet zu nutzen.
Ebenfalls stellen viele fest, dass die konfessionsübergreifende Seelsorge eine der wichtigsten Aufgaben bleibt.
Neben den oft fehlenden finanziellen Mitteln stellt auch der Datenschutz viele Einrichtungen noch vor ungelöste Fragen. So können auch kostenfrei zur Verfügung gestellte Plattformen nicht genutzt werden. Dabei ist auch das Thema Selbstbestimmung von großer Bedeutung: Wie kann es ermöglicht werden, dass jede*r Bewohner*in selbst entscheiden kann, ob sie oder er Möglichkeiten der digitalen Kommunikation nutzen möchte, selbst wenn der Datenschutz nicht immer vollständig gewährleistet werden kann. Wenn man z. B. als psychisch kranker Mensch extrem unter Vereinsamung leidet, ist die Nutzung letztlich eine Güterabwägung, die der betroffene Mensch selbst treffen können sollte. Wenn dazu die Unterstützung der Mitarbeiter*innen nötig ist, wäre es ein erstrebenswertes Ziel dies in naher Zukunft zu gewährleisten.
Hierbei war auffällig, dass Menschen in kleineren Wohngruppen eher der Gefahr der Vereinsamung ausgesetzt sind. Die engen Personalressourcen verstärkten dies in einigen Wohnbereichen.
So haben in einer Einrichtung die Bewohner*innen über den Bewohnerbeirat eine Verbesserung beziehungsweise auch die Installation eines Internetzugangs und damit verbundene digitale Teilhabemöglichkeiten gefordert. Die Geschäftsführung hat sich dieses Themas angenommen, prüft derzeit alle Möglichkeiten und hat eine Verbesserung der Situation angekündigt.
Erstmals fand auch eine Videokonferenz einiger Bewohnerbeiräte der verschiedenen Einrichtungen eines Trägers statt. Dies wurde als sehr positiv empfunden.
In einer anderen Einrichtung wurde vor wenigen Monaten einen Glasfaseranschluss bereitgestellt. Daher wird dort derzeit daran gearbeitet interessierten Bewohner*innen eine umfassendere Internetnutzung zu ermöglichen.
In einem anderen Haus wurde beschlossen bei allen jetzigen und künftigen Baumaßnahmen das Thema digitale Teilhabe mitzudenken.
Um digitale Teilhabe möglichst umfassend zu ermöglichen ist vor allem auch digitale Barrierefreiheit eine Grundvoraussetzung.
„Ideal sind Websiten mit hohem Kontrast, Bildbeschreibungen und Podcasts, die auch mit einer Textversion ausgestattet sind. Denn eine Webseite mit niedrigem Kontrast zwischen Text- und Hintergrundfarbe oder unveränderbaren Schriftgrößen für Sehbehinderte ist beispielsweise sehr schlecht lesbar, Podcasts ohne Textversion sind hingegen für Gehörlose nicht nutzbar.“ (Nadja Merz, Arbeitsstelle Medien für Blinde und Sehbehinderte)
Online rückt die Bedeutung von Barrierefreiheit immer stärker ins Bewusstsein von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen. Schon mit einigen technischen Anpassungen lassen sich die Inhalte einer Website weitgehend alle Menschen nutzbar machen.
Marion Palm-Stalp betont den Wert von barrierefreien Webseiten. „Sie ermöglichen gerade für seheingeschränkte und blinde Menschen ein deutliches Mehr an Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit im Alltag, im Beruf und in der Freizeit“, so Frau Palm-Stalp von der Arbeitsstelle Medien für Blinde und Sehbehinderte des Bistums Trier.
Durch das Schaffen von mehr digitaler Barrierefreiheit können Unternehmen und Organisationen nicht nur soziale Verantwortungübernehmen, sondern erweitern so auch ihre Erreichbarkeit in hohem Maße.
Es gibt für alle Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen in allen Einrichtungen mindestens einen Arbeitsplatz mit Computer, Drucker und stabilem WLAN. Auch in den Gemeinschafts- und Wohnbereichen ist es möglich das Internet zur Kommunikation mit anderen zu nutzen und auch um zusammen Filme zu schauen.
Es sind Zeiten für Mitarbeiter*innen eingeplant um eine gute Begleitung zu gewährleiten und es werden regelmäßig Schulungen angeboten für alle, die sich noch nicht sicher im Umgang mit den Medien fühlen. Die Finanzierung der Nutzung ist gesichert.
Diese Erfahrungen aus den unterschiedlichen Bezügen zeigen uns deutlich wie zentral die Aufgabe heute ist, digitale Teilhabe für alle Menschen zu ermöglichen. Teil unserer Gesellschaft zu sein, in allen wesentlichen Bezügen, ist darum auch ein unbedingt notwendiger Schritt um die von unserem Bistum in der Synode angestrebte diakonische Kirchenentwicklung wirksam umzusetzen. Denn diakonisch bedeutet ja den Menschen dienend. Eng damit verbunden ist das Anliegen der Inklusion: dass alle von Anfang an so gut und so selbstverständlich wie möglich an allem teilhaben können.
Je mehr uns das gelingt, desto lebendiger kann unsere Kirche sein.
Das gilt nicht nur in Zeiten einer Pandemie, aber die Pandemie hat uns dies in besonderem Maße bewusst gemacht.
Dieser Artikel wurde erstellt von Nadja Merz, Heike Bulle, Anne Veit-Zenz und Andreas Bühler